Lockdown, bis Tag 33

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Samstag 21. März 2020, plage des Trois Ilets, Insel Marie Galante bei Guadeloupe, frühmorgens: wir sehen es im Internet, Frankreich will bis Montag 23. März entscheiden ob nicht EU Segler auf den französischen Inseln Saint Martin, Guadeloupe mit Les Saintes und Marie Galante, sowie Martinique bleiben dürfen oder ausgewiesen werden. Eine unangenehme Situation, zumal wir auch vernehmen, dass auf Les Saintes bereits die ersten nicht EU-Segler aufgefordert wurden den Anker zu lichten und das Gebiet zu verlassen. Die Schweiz gehört zwar zum Schengenraum, aber nicht zur EU, wir sind verunsichert. So beschliessen wir so schnell wie möglich südwärts nach Martinique zu segeln, der Insel von welcher wir das jüngste, aktuelle Klarierungsdatum haben. So rasch geht es allerdings nicht, die Leine einer Fischerboje verheddert sich im Propeller, eigentlich ist diese ja nicht schuld, wir ankern ein zweites Mal und Claudia, ganz glücklich, kommt noch zu ihrem Morgenbad. Mit raumem Wind, Genua und gutem Speed segeln wir schliesslich zügig in Richtung Dominica. Am frühen Mittag sind wir bereits auf der Höhe der Ankerbucht von Porthmouth, Dominica. Schon dreimal dieses Jahr lagen wir hier vor Anker und es fällt uns schwer am sympathischen Ort vorbei zu segeln zumal auch der Wind abnimmt. Zwischen Guadeloupe und Martinique, also im Sandwich zweier europäischer, Inseln tickt Dominica ganz anders, vielleicht auch wohltuend anders. Beim Eindunkeln erreichen wir die Südspitze des kleinen Inselstaates, der Wind aus ost-nord-ost kommend frischt auf und wir rauschen im zweiten Reff durch die mondlose, aber sternenklare Nacht in Richtung Martinique. Herrlich wie die Vengo mit bis 11 kn Geschwindigkeit durch die Wellen geht.
Sonntag 22. März 2020, Anse Caritan: im Laufe der Nacht erreichen wir die Nordspitze von Martinique, sind am Morgen in aller Früh im Süden der Insel, wo wir bei Saint Anne, genauer in der Anse Caritan, ankern und erst mal eine Runde schlafen. Im Internet, www.noonsite.com, lesen wir später über Curacao und Panama, zwei unserer Ziele für dieses Jahr:
Curacao
“All airports and seaports are closed in the ABC Islands.
No entry for yachts – you will be turned away by the Coastguard.
Efforts are being made to assist Dutch yachts around the Caribbean to Curacao for hurricane season, but this is in the hands of the Gov. and won’t be made for a month/6 weeks at least.”
Panama
“The situation is becoming critical in Panama. The Aeronaval Police are getting more severe every day and turning boats away and out of anchorages. In the Las Perlas Islands just this morning 20 boats were told to leave Panama, with nowhere to go. In Shelter Bay Marina it has been reported that the Aeronaval are not allowing boats to enter and all are armed. San Carlos/Vista Mar, La Playita and Flamenco marinas are not allowing any boats in (cruising permit or not).
The situation is developing fast and it is recommended that cruising boats do not head for Panama at the current time.”

Beides nicht erfreulich und in Martinique? Auf www.noonsite.com lesen wir weiter:
“Martinique will not be allowing non-EU flags into the country as of Monday 23 March.”
Eigentlich dürfte es keine Probleme geben, wir sind zwar nicht in der EU jedoch schon seit Februar in Martinique einklariert. Trotzdem bleibt uns eine gespannte Ungewissheit und Nervosität. Schnell ändern die Bestimmungen und diese werden zunehmend restriktiver.
Montag 23. März 2020: über Cruisers Net Martinique erfahren wir, dass alle Boote, die vor dem heutigen Tag in Martinique einklariert haben, auch auf unbestimmte Zeit bleiben dürfen. Super, fürs erste haben wir eine Bleibe, allerdings nur auf Zeit, im Nacken sitzt uns die kommende Hurrikan-Saison.

Donnerstag 16. April 2020: seit bald vier Wochen hängen wir wegen des Coronavirus bei Martinique am Anker. Wir sind nicht allein. Nach offiziellen Schätzungen ankern noch weitere 700 Boote hier bei Saint Anne und Le Marin. Dabei sind die Yachten im Hafen und an den Bojen von Le Marin nicht einmal mitgezählt. Monos, Katamarane, Trimarane, alte oder neue Boote mit alter Besatzung, neue oder alte Boot mit junger Besatzung, davon die meisten ohne aber doch auch einige mit Kindern, hängen in gleicher Weise hier herum, indem sie alle einigermassen synchron mit dem Heck zwischen 230 und 310 Grad West hin und her schwoien. Glücklicherweise sind wir ganz am südlichen Ende der Bucht von Saint Anne, so dass wenigstens der Blick nach Süden uns den Traum der grossen Seglerfreiheit einigermassen vorgaukelt und wir auch von der kollektiven Kacke der versammelten Yachten besser verschont bleiben als mitten drin. Die meisten Crews halten sich an die französischen Corona-Regeln. Diese sind streng und die Bussen beträchtlich. Trotzdem, einige wenige tun das nicht, schwimmen weiter als die erlaubten 50 m um ihr Schiff, gehen an den Strand spazieren oder joggen, entfernen sich weiter als den erlaubten Kilometer von ihrem Beiboot Parkplatz, wandern gar auf den Wanderwegen und besuchen einander gegenseitig während der Ausgangssperre in der Nacht auf ihren Schiffen. Da kann es dann doch mal sein, dass die Küstenwache mit Boot, Helikopter oder sprechender Drohne die Ungehorsamen zurechtweist. Da kommt auch grosses Unbehagen auf, ist das der demokratische Staat der Zukunft?

Wie verbringt also die Crew der Vengo ihre Tage im schwimmenden, gut überwachten Knast? Bisher ganz gut: an der Vengo putzen, basteln, flicken, turnen (man nennts auch Pilates), gut essen, zuviel essen, Dinge erledigen die schon lange erledigt sein sollten, Fotos misten, Fotoalben kreieren, Sonnenuntergänge und Wolken fotografieren, um die Vengo herumschwimmen, unter der Vengo tauchen -ob das wohl erlaubt ist- und ganz wichtig immer auch die coronamässg etwas verlängerte Siesta halten. Einmal die Woche schippern wir mit dem Dinghy nach Le Marin, stehen in die Warteschlange, kaufen ein und fahren dann wieder heim. Ab und zu pflegen wir auch den Social Contact indem wir uns mit dem Dinghy ans Heck eines anderen Schiffes hängen und so, bei Social Distancing, mit der befreundeten Crew bei einem Bierchen plaudern.

Leben unter der Vengo

Donnerstag 23. April 2020: Grossartig, heute entdeckt der Bordelektriker welche Schalter zu bedienen sind, um die Motoren auch mit den Service Batterien zu starten. Beim absolut ungenügenden Manual von Catana keine einfache Sache, zumal die beiden Schalter ganz unten hinten im Motorenraum montiert sind. Die Corona-Zeit ermöglicht eben ausgedehnte Expeditionen durch die Vengo.
Wir machen uns in den letzten Tagen auch vermehrt Gedanken wie und wo wir die näher rückende Hurrikan Saison bewältigen sollen. Diese beginnt offiziell Anfangs Juni und dauert bis Ende November. Am gefährlichsten ist es von Mitte August bis Mitte Oktober. Es gibt verschiedene Optionen und hängt davon ab, ob und wie die einzelnen Staaten die Corona Bestimmungen ändern:
• Wir bleiben in Martinique und verziehen uns erst bei einer Ankündigung eines aufziehenden Hurrikans 150 bis 250 sm in Richtung Süden in die Gegend von Grenada, Trinidad and Tobago oder etwas weiter nach Curacao, also immer 12 Grad nördliche Breite oder südlicher. Bei einem solchen Ausweichmanöver garantiert Martinique mittlerweile mit einer Erlaubnis zur Rückkehr unabhängig der Flaggenherkunft, grossartig, chapeau.
• Öffnet eines der oben erwähnten Länder die Grenzen mit oder ohne Quarantäne bestünde auch die Möglichkeit Ende Mai einen dieser Orte anzusteuern. Dabei wäre uns Curacao am liebsten, da wir dort bereits vor dem Lockout einen Platz am Trockenen reserviert haben. Wir wollen dort das Unterwasserschiff mit einem neuen Antifouling beschichten.
• Nach einer eher chaotischen Grenzschliessung in Panama hat sich dort die Situation beruhigt. Drei Marinas an der Karibikküste sind, mit einer vorgängigen Quarantäne von 14 Tagen, offen. Ansonsten herrschen sehr strenge Lockdown Regeln, so dass ein Anlaufen des Kanalstaates noch wenig Sinn macht.
• Zurück nach Europa segeln könnte eine weitere Option sein, aber wohin mit einem Schiff mit Schweizer Flagge. Bisher darf man auf den Azoren und ganz Portugal Proviant und Treibstoff aufnehmen aber nicht bleiben. Das gleiche gilt für Spanien. Einzig einige Häfen Italiens lassen sich mit 14 Tagen Quarantäne anlaufen, es wird jedoch dringend von einem solchen Unterfangen abgeraten. Wetterbedingt müssten wir bis spätestens Ende Mai die Segel in Richtung Europa setzen.

Bis Ende Mai haben wir noch alle vier Optionen offen. Das Problem: welche Staaten ausser Panama öffnen bis dann ihre Grenzen ……. Geduld, Geduld.

Freitag 24. April 2020, 16.00: am Dinghy Steg in Saint Anne: gehorsam füllen wir das Formular «attestation de déplacement dérogatoire» im App auf unseren Handys aus, tippen auf die Taste «générer mon attestation» und schon erhalten wir den QR-Code zum Vorzeigen bei einer polizeilichen Kontrolle. Schöne neue Welt, wir sind glücklich und haben jetzt die Erlaubnis für einen Spaziergang von maximal einer Stunde und mit maximal einem km Distanz vom Dinghy, grossartig.
Der Fairnesshalber muss doch erwähnt sein, dass man in Paris die Départements d‘outre-mere nicht vergessen hat und es mit der Versorgung der Insel, Pflegematerial, Lebensmittel etc., bis anhin gut funktioniert, so dass wir letztlich ganz froh sind, dass wir hier vor Anker liegen können.

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