Mittlerweile haben wir unsere weiteren Vorhaben geplant. Wir bleiben mal vorerst im Raum Martinique, Dominica und Guadeloupe und wollen mit Claudia und Andreas, einem befreundeten Paar, später mit Freundin Astrid und Schwester Christine, gemeinsam schöne Tage verbringen.
Freitag, 24. Januar 2020: wir heben den Anker bei Le Marin und es geht via Anse Chaudière zunächst mal nach St. Pierre. Von dort besteigen wir am folgenden Tag den Montagne Pelée, oder besteigen ihn beinahe, das O.L.D.Y Syndrom von La Gomera hat den Capitano wieder eingeholt. So wenden wir 100 Höhenmeter unter dem Gipfel und haben trotzdem eine wunderschöne, eindrückliche Wanderung. Beim Abstieg liegt irgendwo eine junge Frau im Gras «das isch au e Variante zum de Berg zbestiege» bemerken wir halblaut, «bi dänn dobe gsi», tönt es fast etwas beleidigt-vorwurfsvoll aus dem Gras zurück, dann gemeinsames Lachen, Helvetien lässt grüssen und kann überall sein.
Mit erfülltem Plansoll segeln wir zwei Tage später in Richtung Dominica. Dominica heisst die Insel, weil Kolumbus diese am Sonntag 3. November 1493 entdeckt hat. Wir erreichen die Bucht von Porthmouth abends und belegen dort nach Anweisung von Albert eine der zahlreichen Bojen. Albert verdient sein Geld, wie einige andere auch, indem er ankommenden Schiffen eine Boje vermittelt, Touren mit seinem Schiff anbietet und Exkursionen organisiert. Tourismus im grossen Stil gibt es auf Dominica kaum und wenn, in schlechten Ansätzen. Es fehlen der Insel schlicht weite Strände, um Massen von Sonnenhungrigen aufzunehmen, was grundsätzlich auch nicht schlecht ist, doch es fehlen für den Staat die dringend benötigten finanziellen Mittel. Man setzt vermehrt auf einen Wander- und Ökotourismus, welcher jedoch in den letzten Jahren stagniert. Zudem hat auch der Hurrikan Maria (2017) viele Wanderwege zerstört, welche leider bis heute noch nicht in Stand gestellt werden konnten. Auch in Porthmouth hat sich seit unserem ersten Besuch 2016 viel geändert. Die Spuren von Maria sind deutlich sichtbar, viele Häuser sind beschädigt oder fehlen und überall liegen noch Überreste der Zerstörung herum. Vielleicht ist es Einbildung, jedoch wir meinen auch einen spürbar resignierten Eindruck wahrzunehmen. Es fehlt etwas von der ausgelassen positiven Stimmung, wie sie uns von damals in Erinnerung ist. Nach Maria sollen auch 20000 von den insgesamt 90000 Einwohnern die Insel verlassen haben.
Freitag, 31. Januar 2020: zu unserer grossen Überraschung läuft die Polaris, die Catana 47 von Kate und Jim, einem irisch englischen Paar, in die Bucht. Wir kennen die beiden aus Mindelo, wo es natürlich viel über Catana und unseren gemeinsamen Makler Alain Hamel «Mister, it’s Catana, not so bad» zu tratschen gab. Sie haben dann mit ein paar Tagen Vorsprung den Atlantik mit Ziel Antigua überquert. Es gibt viel zu erzählen und gemeinsam machen wir auch zwei Ausflüge, den ersten in Alberts Boot den Indian River hinauf, den zweiten auf den Morne Diablotins, welcher, wie der Name schon vermuten lässt, einige Schwierigkeiten offenbart und wir alle schliesslich ganz glücklich sind, dass das O.L.D.Y Syndrom einmal mehr zur Umkehr zwingt. Zusammen verbringen wir auch einen der wöchentlichen Barbecue Abende bei P.A.Y.S. (Porthmouth, Association of Yacht Services), einem von Einheimischen geführten Kleinunternehmen, welches die Bojen in der Bucht unterhält. Auch ein nicht ungefährliches Unterfangen, da neben dem sehr guten Essen auch Punsch, Rum mit Fruchtsaft, à la discrétion angeboten wird. Die Gefahr eines overpunching ist gross.
Auch Tauchen ist auf Dominica angesagt. Mit Fabien einem lokalen Tauch Guide machen wir vier schöne Tauchgänge mit dem bleibenden Eindruck sehr vieler Haarsterne. Dabei lernen wir Laura kennen. Sie ist auf Besuch bei ihrer Mutter Joanna, welche zusammen mit ihrem Freund Andy auf ihrem Kat Bamba Maru hier in der Bucht wohnen. Beide haben in der Schweizer Presse für etwas Aufsehen gesorgt, als sie nach dem Hurrikan Mathew (2016) mit ihrem Boot voll Hilfsgüter von der Dominikanischen Republik nach Haiti, genauer zur Ile à Vache, ausliefen, um dort der stark in Mittleidenschaft geratenen Bevölkerung zu helfen. Sie brachten Lebensmittel und andere Hilfsgüter und versorgten viele Inselbewohner fürs nötigste mit Wasser aus ihrer Entsalzungsanlage. Nach dem verheerenden Hurrikan Maria (2017) segelte das Paar nach Dominica um hier in Porthmouth der Bevölkerung unter anderem beim Wiederaufbau von Schulen zu helfen. Bewundernswert, was die beiden mit ihren eher bescheidenen Mitteln leisten. Es ist irgendwie beschämend, wenn ich den beiden gegenübersitze, ihnen zuhöre und daran denken muss, dass die Gallina beim Mathew in Panama und bei Maria in Guatemala stand und ich beide Male in der Schweiz war. Sie wollen diese Saison weiter nach Süden segeln, um ihr Boot an einem Hurrikan sicheren Ort zu revidieren, was beim Anblick ihrer Bamba Maru auch dringen notwendig ist. Wir wollen mit ihnen auf jeden Fall in Kontakt bleiben.
Sonntag, 9. Februar 2020: nach einer weiteren Aussicht auf einen verregneten Tag entschliessen wir uns kurzerhand Dominca zu verlassen und sind bereits am Nachmittag bei der Inselgruppe Les Saintes. Bei der kleinen Ilet Cabrit gelingt es uns mit etlicher Mühe direkt unterhalb des Fort Joséphine an einer der wenigen freien Bojen festzumachen. Die Geschichte der Saintes ist recht bewegt. An Allerheiligen 1493 (Los Santos später Les Saintes) von Kolumbus entdeckt, war die Inselgruppe wegen ihrer strategischen Bedeutung immer wieder Zankapfel zwischen Frankreich und England. Davon zeugen noch heute die zahlreichen Ruinen einst befestigter Anlagen. Das «Gibraltar der Antillen», wie es auch genannt wird, ging 1816 definitiv in französischen Besitz. Genauso wie bei vielen Fahrtensegler ist die Inselgruppe heute ein beliebtes Ausflugsziel für Tagestouristen aus Guadeloupe. Auch wir geniessen die Les Saintes. Den schönsten Ausflug machen wir auf der Hauptinsel Terre-de-Haut mit dem steilen Aufstieg zum 313 m hohen Le Chameau, wo wir die herrliche Aussicht über das gesamte Archipel geniessen.
Sonntag, 16. Februar 2020: obwohl das Wetter regnerisch und böig ist, drängt es den Capitano zum Weitersegeln. Vielleicht ein Fehler. Er zieht beim setzten des Grosssegels an der falschen Reffleine. Da er dies mit der Elektrowinsch tut, ist die unausweichliche Folge ein Riss am Vorliek. Wenigsten ist der Riss nicht sehr gross, wir können das Segel, so wie es ist, noch benutzen und erreichen im Lauf des Nachmittages, nach abwechslungsreicher Fahrt mit Flauten, Böen und Squalls, eine kleine Bucht vor dem Ort Deshaies. Sehr schön, wir sind hier für einmal das einzige Boot am Anker und die Bucht erweist sich später auch als ganz guter Tauchort. Zwei Tage später versetzen wir uns noch etwas mehr nach Norden, um mit dem Dinghy den Ort Dehsaies zu besuchen. Beim Einkurven in die geschützte Bucht staunen wir nicht schlecht, so etwa 100 Segelboote liegen hier dicht gepackt vor Anker. Vor vier Jahren waren es vielleicht fünf bis zehn Schiffe. Wann wird hier in den französischen Antillen wohl die obere, unerträgliche Anzahl von Yachten erreicht? Für unseren Geschmack haben wir diese Grenze in mancher Hinsicht, wie schon in Martinique und Les Saintes, bereits überschritten. Natürlich ist das Gebiet ein ausgezeichnetes Segelrevier. Gute Winde, gute Infrastrukturen, Charterangebote und günstige Anreisemöglichkeiten sorgen für die grosse Attraktivität.
Samstag, 29. Februar 2020: in der Zwischenzeit sind wir wieder nach Le Marin, Martinique gesegelt, das geflickte Grossegel und der neue Genacker sind an Bord und die Haare des Capitanos geschnitten. Abends treffen wir Claudia und Andreas in der Mango Bar. Die beiden sind heute aus der Schweiz angereist und für zwei Wochen unsere guten Gäste. In den folgenden Tagen segeln wir in kleinen Etappen entlang der Westküste von Martinque nach Norden.
Donnerstag 5. März 2020: wir ankern ganz im Norden von Martinique in der Anse Ceron. Kaum zu glauben, das einzige Schiff neben uns in der Bucht ist die Wanderlust und bald erhalten wir Besuch von Andrea, Ted und ihrem kleinen Sohn Eric. Auch sie sind, genau wie wir, unterwegs nach Dominica.
Samstag, 7. März 2020: um 8.30 geht’s im 1. Reff los in Richtung Dominica, zwischen den Inseln läuft’s anfangs gut, 8 bis 12 kn, hinter Dominica läuft’s eher schlecht, Andreas fischt, ohne Erfolg, oder so nachhaltig wie meist auch Claudia und wir erreichen am frühen Abend Porthmouth, wo auch bald die Wanderlust eintrifft. Gemeinsam verbringen wir den Abend beim Nachtessen in der Strandbeiz Madiba.
Sonntag, 8. März 2020: zu viert machen wir uns auf den Weg nach Capuchin, ein Dorf ganz im Norden von Dominica. Der Weg ist relativ einfach und gehört zur Gruppe der Kubuli Wanderwegen, welche sich über ganz Dominica erstrecken. Nicht alle, Kubuli Wege sind jedoch einfach, dies haben wir beim Versuch den Morne Diablotins zu besteigen bereits einmal in aller Deutlichkeit erfahren. Schon bald nach dem Start schliesst sich Georges unserem Grüppchen an. Sehr gut zu Fuss unterwegs, vielleicht geistig etwas behindert, versucht er uns, ohne dass wir viel verstehen, die ganze Gegend, inklusive Pflanzen und Tiere, nahe zu bringen. Das geht soweit, dass er pflanzliches Anschauungsmaterial kurzerhand und in Form von Früchten aus anliegenden Gärten besorgt. Er begleitet uns bis Capuchin, das hoch über dem Meer liegt, von dort geht es steil zur Küste hinunter, am Kiosk will er einen Whisky, so verstehen wir, die Kioskfrau versteht Biskuit, gibt ihm welche, er ist zufrieden, vollführt ein Tänzchen und es geht weiter entlang der Küste zurück in Richtung Porthmouth. Bevor er sich nach etwa sechs Stunden verabschiedet, unsere Gäste haben erschöpft und per Anhalter bereits einen Vorsprung, versucht er uns etwas Wichtiges mitzuteilen. Nach etwa einer viertel Stunde haben wir begriffen, er will für seine Begleitung und Reiseleitung zehn EC, was etwa fünf Franken entspricht. Gerne geben wir ihm den Lohn. Irgendwie hat er unsere Wanderung in seiner Art ganz schön bereichert. Am Abend treffen wir die Crew der Wanderlust und besuchen ein weiteres Mal das Barbecue bei der P.A.Y.S..
Mittwoch, 11. März 2020: nach einer unruhigen Nacht am Anker in der Bucht von Toucari verlassen wir Dominica in Richtung Marie-Galante, einer Guadeloupe vorgelagerten Insel gegenüber den Saintes. Hart am Wind, im zweiten Reff und bei zwei Meter hohen Wellen rauschen wir mit 7 bis 10 kn Speed unserem Ziel entgegen. So vermag die Vengo wirklich immer wieder zu begeistern und macht den vielen Ärger vergessen. Bereits zum Mittagessen sind wir in der Bucht von Saint-Louis fest am Anker.
Anderntags versetzen wir uns in die malerische Anse Canot, wo wir zwei herrliche Tage mit baden und wandern verbringen. Wir vernehmen aber auch, dass in der Schweiz nunmehr alle Schulen wegen Corona geschlossen sind.
Samstag, 14. März 2020: frühmorgens bei wenig Wind dümpeln wir in Richtung Point à Pitre, Guadeloupe, ankern dort und bringen unsere Gäste mit der Dopo an Land, wo wir uns von ihnen herzlich verabschieden. Wir hatten eine sehr gute und aufgestellte gemeinsame Zeit. Den Aufenthalt in Point à Pitre nutzen wir noch für Einkäufe, denn ab dem kommenden Montag gelten auch in Guadeloupe die restriktiven französischen Lockdown-Regeln. Langsam wird es auch in der Karibik bedrückend und wir fragen uns erstmals wie es wohl weitergeht.
Dienstag, 17. März 2020: nach Plan segeln wir in Richtung Sainte Francois. Dort hinter dem schützenden Riff entdecken wir so viele Masten, dass wir beinahe fluchtartig Kurs auf Marie Galante nehmen und nach guter Fahrt am frühen Abend in der schon bekannten Anse Canot ein zweites Mal ankern. Zwei Tage später dislozieren wir nach Grand Bourg in der Hoffnung etwas Diesel zu bekommen, dem ist jedoch nicht so, kaum jemand ist auf den Strassen, wir realisieren erstmals bewusst den vollen Lockdown in einer fremden, gespenstigen Atmosphäre, begnügen uns mit den nötigsten Einkäufen und verlassen rasch den bedrückenden Ort. Eine Stunde später ankern wir merklich erleichtert an einem hübschen Strand etwas weiter nördlich.